Dienstag, 1. Juli 2025

Vom positiven Denken

Ich bin ziemlich gut im positiven Denken. Ich übe ja auch schon ewig – mit Hingabe und gelegentlicher Selbstüberschätzung.

Negative Gedanken? Die lasse ich gar nicht erst in mir aufsteigen – ich bin schließlich Profi. Negative Gedanken sind etwas für Anfänger und nicht für spirituelle Experten wie mich.

Immer wenn ich glaube, etwas nicht zu können, flüstere ich zehnmal tapfer: „Ich kann es.“ Zwar glaube ich es danach immer noch nicht – aber immerhin habe ich positiv affirmiert.

Wenn meine Haare wieder einmal machen, was sie wollen, dann stelle ich mich vor den Spiegel und flüstere mir zu: „Diese Frisur ist gut, so wie sie ist. Zumindest scheint sie gottgewollt zu sein, und das gibt ihr ihre Daseinsberechtigung.“ Furchtbar sind sie trotzdem.

Täglich stehe ich vorm Spiegel und flüstere tapfer: „Du hast das Idealgewicht. Du bist schlank und schön.“ Der Spiegel antwortet trocken: „Mach mal die Augen auf. Schau genau hin – dann siehst du die Wahrheit.“ Aber hey – zumindest denke ich positiv.

Manchmal entwickle ich sogar Gedanken, die der ganzen Welt zugutekommen. Ich sage zum Beispiel: „Die Welt ist ein friedlicher, sicherer Ort.“ Ehrlich gesagt – bei all dem Chaos, dem Unfrieden, der Gewalt und Korruption – ist es einfach wichtig, dass wenigstens einer da ist, der positiv denkt.

Wenn ich in der Küche vor einem Berg Geschirr stehe, flüstere ich hoffnungsvoll: „Mein Mann wird das sicher erledigen, wenn er kommt.“ Manchmal hilft es, manchmal nicht.

Eine Freundin meinte kürzlich, ich solle einfach nur glücklich sein – dann würde sich mein Leben in kürzester Zeit verwandeln.

Ich hab’s versucht. Ganze zwei Wochen lang war ich glücklich. Also hab ich’s wieder bleiben lassen. Einfach so grundlos glücklich zu sein – das ist mir auf Dauer zu mühsam. Schon in meinem NLP-Kurs habe ich gelernt: Wenn ein Modell nicht funktioniert – wähle ein anderes.

Aber manchmal muss ich zugeben: Auch positives Denken hat seine Grenzen. Zum Beispiel, wenn ich morgens verschlafen habe. Da hilft kein: „Das Universum wollte wohl, dass ich ausschlafe.“ Da hilft nur ein Sprint zur Kaffeemaschine – und eine kreative Ausrede im Büro.

Leider fällt mir dann aber oft nur mehr mein letztes positives Argument ein, das ich zerknirscht und kleinlaut vorbringe: „Alles im Leben hat seinen Sinn.“

Mein Chef allerdings bringt dafür erstaunlich wenig Verständnis auf.

Wenn ich mich durch langweilige Arbeiten quäle, flüstere ich mir mindestens zehn Mal zu: „Diese Aufgabe ist hochinteressant und ich mache sie gern.“

Gut – sie wird dadurch nicht besser, und ich mag sie immer noch nicht. Aber hey – immerhin habe ich etwas Positives dazu gesagt.

Ich bin wirklich froh, so ein positiver Mensch zu sein. Da kann sich meine Freundin mit ihrem ständigen Glücklichsein ruhig eine Scheibe von mir abschneiden.

Positiv muss man sein, Leute. Positiv! Aber doch nicht einfach sinn- und planlos glücklich.

 


Wir und unsere Möglichkeiten

Unser Gehirn ist ein wahres Wunderwerk. Es kann bis zu 11 Millionen Sinneseindrücke gleichzeitig aufnehmen – doch nur ein winziger Bruchteil davon dringt tatsächlich in unser Bewusstsein.

Das liegt daran, dass wir über einen inneren Filter verfügen, der laufend vorsortiert. Am leichtesten erkennen wir das, was wir bereits kennen – denn Vertrautes kann unser Bewusstsein rasch einordnen.

Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Geschichte von Kolumbus: Man erzählt, dass die Ureinwohner seine Schiffe zunächst nicht sehen konnten, weil sie außerhalb ihrer Erfahrung lagen. Nur ein einziger – ein Schamane – konnte sie erkennen, da sein Geist geschult war, über das Bekannte hinauszublicken.

Diese Filter sind notwendig. Ohne sie wären wir der Fülle an Reizen nicht gewachsen. Doch sie schränken auch unsere Wahrnehmung von Möglichkeiten erheblich ein.

Wir sind umgeben von einem riesigen Feld an Optionen – doch wir greifen meist nur auf die altvertrauten zurück.
Die Quantenphysik spricht vom Beobachtereffekt: Erst durch unsere Aufmerksamkeit wird aus einer Möglichkeitswelle eine Realität. Doch um wählen zu können, müssen wir die Welle überhaupt erst wahrnehmen.

Im Alltag sortieren wir jedoch oft blitzschnell in möglich und nicht möglich.
Zum Beispiel:
Wir wünschen uns ein Haus. Doch uns fehlt das nötige Geld.
Schon wird der Wunsch vorschnell in die Schublade „nicht möglich“ gelegt. Selbst wenn wir ihn nicht aufgeben, beschränken wir unsere Ideen zur Umsetzung meist auf wenige Wege:

  • Kredit – möglich
  • Erbschaft – vielleicht
  • Lottogewinn – unwahrscheinlich
  • Zwei Nebenjobs – anstrengend, aber möglich
  • Banküberfall – eher nicht

Und schon hat unser Verstand vier Optionen gefunden. Vier.
Aber was ist mit der unermesslichen Fülle an Möglichkeiten, die wir dabei übersehen?

Wenn wir dem Leben mehr Spielraum lassen würden – wenn wir bereit wären, auch das Unbekannte einzuladen – könnten wir staunen, welche Türen sich öffnen.
Die Grenzen der Möglichkeiten sind oft nur die Grenzen unseres Denkens.

Wenn wir das Universum um Unterstützung bitten, sollten wir ihm nicht vorschreiben, wie es helfen soll. Wir dürfen ihm vertrauen, dass es mehr als vier Varianten kennt – und vielleicht eine in der Schublade hat, die wir uns nie hätten ausdenken können.

Es liegt an uns, diese Tür zu öffnen.
Es liegt an uns, dem Leben zuzutrauen, dass es Wege kennt, die jenseits unserer Vorstellungskraft liegen.
Und es liegt an uns, diese Wege willkommen zu heißen.

Denn nur so öffnen wir uns für die Fülle –
und für Wunder, die längst darauf warten, von uns entdeckt zu werden.