Ich bin ziemlich gut im positiven Denken. Ich übe ja auch schon ewig – mit Hingabe und gelegentlicher Selbstüberschätzung.
Negative Gedanken? Die lasse ich gar nicht erst in mir
aufsteigen – ich bin schließlich Profi. Negative Gedanken sind etwas für
Anfänger und nicht für spirituelle Experten wie mich.
Immer wenn ich glaube, etwas nicht zu können, flüstere ich
zehnmal tapfer: „Ich kann es.“ Zwar glaube ich es danach immer noch nicht –
aber immerhin habe ich positiv affirmiert.
Wenn meine Haare wieder einmal machen, was sie wollen, dann
stelle ich mich vor den Spiegel und flüstere mir zu: „Diese Frisur ist gut, so
wie sie ist. Zumindest scheint sie gottgewollt zu sein, und das gibt ihr ihre
Daseinsberechtigung.“ Furchtbar sind sie trotzdem.
Täglich stehe ich vorm Spiegel und flüstere tapfer: „Du hast
das Idealgewicht. Du bist schlank und schön.“ Der Spiegel antwortet trocken:
„Mach mal die Augen auf. Schau genau hin – dann siehst du die Wahrheit.“ Aber
hey – zumindest denke ich positiv.
Manchmal entwickle ich sogar Gedanken, die der ganzen Welt zugutekommen.
Ich sage zum Beispiel: „Die Welt ist ein friedlicher, sicherer Ort.“ Ehrlich
gesagt – bei all dem Chaos, dem Unfrieden, der Gewalt und Korruption – ist es
einfach wichtig, dass wenigstens einer da ist, der positiv denkt.
Wenn ich in der Küche vor einem Berg Geschirr stehe,
flüstere ich hoffnungsvoll: „Mein Mann wird das sicher erledigen, wenn er
kommt.“ Manchmal hilft es, manchmal nicht.
Eine Freundin meinte kürzlich, ich solle einfach nur
glücklich sein – dann würde sich mein Leben in kürzester Zeit verwandeln.
Ich hab’s versucht. Ganze zwei Wochen lang war ich
glücklich. Also hab ich’s wieder bleiben lassen. Einfach so grundlos glücklich
zu sein – das ist mir auf Dauer zu mühsam. Schon in meinem NLP-Kurs habe ich
gelernt: Wenn ein Modell nicht funktioniert – wähle ein anderes.
Aber manchmal muss ich zugeben: Auch positives Denken hat
seine Grenzen. Zum Beispiel, wenn ich morgens verschlafen habe. Da hilft kein:
„Das Universum wollte wohl, dass ich ausschlafe.“ Da hilft nur ein Sprint zur
Kaffeemaschine – und eine kreative Ausrede im Büro.
Leider fällt mir dann aber oft nur mehr mein letztes
positives Argument ein, das ich zerknirscht und kleinlaut vorbringe: „Alles im
Leben hat seinen Sinn.“
Mein Chef allerdings bringt dafür erstaunlich wenig
Verständnis auf.
Wenn ich mich durch langweilige Arbeiten quäle, flüstere ich
mir mindestens zehn Mal zu: „Diese Aufgabe ist hochinteressant und ich mache
sie gern.“
Gut – sie wird dadurch nicht besser, und ich mag sie immer
noch nicht. Aber hey – immerhin habe ich etwas Positives dazu gesagt.
Ich bin wirklich froh, so ein positiver Mensch zu sein. Da
kann sich meine Freundin mit ihrem ständigen Glücklichsein ruhig eine Scheibe
von mir abschneiden.
Positiv muss man sein, Leute. Positiv! Aber doch nicht
einfach sinn- und planlos glücklich.