Sonntag, 23. März 2014

Wie eine Quelle in der Wüste



Es herrschte einmal eine große Trockenheit in einem Land südlich der Sahara.

Das Steppengras kümmerte dahin, die Tiere fanden kein Wasser mehr, die Wüste war mächtig im Vormarsch.

Selbst dicke Bäume und an Dürre gewöhnte Sträucher sahen ihrem Ende entgegen. Brunnen und Flüsse waren längst versiegt.

Nur eine einzige Blume überlebte die Trockenheit; die wuchs nahe einer winzigen Quelle. Doch auch die Quelle war dem Verzweifeln nahe - und sie fragte sich voller Traurigkeit: "Wozu mühe ich mich einer einzigen Blume wegen, wo doch ringsum schon alles verdurstet ist?"

Da beugte sich ein alter knorriger Baum über die kleine Quelle und sagte, ehe er selbst starb:
"Liebe kleine Quelle, niemand erwartet von dir, dass du die ganze Wüste zum Grünen bringst. Deine Aufgabe ist es, einer einzigen Blume Leben zu spenden, mehr nicht!"

Märchen aus Nordafrika

Samstag, 22. März 2014

Die kritische Masse...

Im Jahr 1952 haben Wissenschaftler auf einer japanischen Insel beobachtet, dass ein junges Affenweibchen begann, Süßkartoffeln, auf denen Sand klebte, vor dem Verzehr im Wasser zu reinigen. Ihre Spielgefährten ahmten dies nach, und so begann sich diese Methode unter den jungen Affen zu verbreiten. Einige Jahre später wuschen bereits alle jungen Affen ihre Süßkartoffeln, ehe sie sie aßen.

Von den älteren Affen taten dies jedoch nur diejenigen, welche diese Methode von ihren Kindern übernommen hatten. Nur jene von ihnen, die es von ihren Nachkommen gelernt hatten, passten sich dem neuen Verhalten an.

Dann geschah etwas Bemerkenswertes. Als bereits eine große Menge von Affen die Kartoffeln wusch, begannen plötzlich über Nacht alle Affen die Kartoffeln zu waschen. Es schien so, als sei eine kritische Masse erreicht worden, die diesen Durchbruch erzielt hatte.

Was jedoch zusätzlich für Überraschung sorgte, war die Tatsache, dass auch Affenkolonien auf entfernten Inseln zur gleichen Zeit begannen, die Kartoffeln vor dem Verzehr zu waschen.
Daraus lässt sich schließen, dass, wenn eine bestimmte Anzahl von Menschen ihr Bewusstsein in eine bestimmte Richtung lenkt, sich letztendlich alle anderen auch in diese Richtung entwickeln werden. Diese kritische Masse könnte durch einen einzigen Menschen erreicht werden. Durch einen einzelnen Menschen, der sich nicht vor der Verantwortung drückt, der nicht sagt „Was soll denn ich allein schon bewirken“, sondern der bereit ist – und wenn er der einzige auf der Welt wäre –, „seine Kartoffeln zu waschen“.


Manchmal beginnt der Wandel der Welt mit einer einzigen gewaschenen Süßkartoffel



Freitag, 21. März 2014

Ich bin stolz auf dich...

„Das hast du wirklich gut gemacht, ich bin so stolz auf dich!“
„Mein Sohn ist der Beste in seiner Klasse – ich bin stolz auf ihn.“
„Mein Kind ist mein ganzer Stolz!“

Was bedeutet es eigentlich, stolz auf seine Kinder zu sein?
Bedeutet es, sie zu achten, sie zu lieben – in allen Phasen ihres Lebens?
Oder bedeutet es, stolz darauf zu sein, ein Kind erfolgreich an die eigenen Vorstellungen oder an die Erwartungen der Gesellschaft angepasst zu haben?
Dann wäre dieser Stolz wohl eher ein Ausdruck der Zufriedenheit über ein gelungenes Produkt.

„Ich möchte doch schließlich stolz auf dich sein!“ –
Ein Satz, den ich in meiner Kindheit oft gehört habe, wenn meine Leistungen fernab jeglicher Erwartungen lagen.
Und gleich darauf folgte meist:
„Ich liebe dich. Ich will doch nur das Beste für dich.“
Es war jener Satz, der zuverlässig Sanktionen einleitete und rechtfertigte.
Ich kannte ihn gut.

In meiner Kindheit waren Liebe und Stolz meiner Eltern nicht voneinander zu trennen.
Wenn sie nicht stolz auf mich waren, fühlte sich ihre Liebe wie eine milde Gabe an.
Nicht selbstverständlich.
Nicht sicher.
Nicht unbedingt verdient.
Ich hätte es vorgezogen, sie hätten mich einfach nur geliebt –
ohne stolz auf mich sein zu wollen.
Das hätte viel Druck von mir genommen.

Man könnte sich ein paar ehrliche Fragen stellen:

Wenn ich gerade stolz auf meinen zweijährigen Sohn bin,
weil er freundlich ist, blondgelockt, keine violetten Haare hat,
keinen Alkohol trinkt, nicht raucht und noch nicht „Nein“ sagt –
werde ich auch noch stolz auf ihn sein,
wenn er mit vierzehn plötzlich alles in Frage stellt?
Uns immer mit neuen Pubertätsschüben konfrontiert?
Wenn er aufsteht, um dagegen zu sein?
Wenn er sich mit siebzehn einen Irokesenschnitt schneiden lässt, 
seine Gitarre schnappt und beschließt,
mit einem Rucksack voll Idealismus und Marihuana nach Indien zu trampen?

Bin ich auch stolz auf meine Tochter,
wenn sie nicht glänzt, sondern kämpft –
mit sich selbst, mit ihrem Körper, mit ihren Haaren, mit der Welt –
und zum zweiten Mal eine Klasse wiederholt?

Bin ich stolz auf ein Kind,
das keinen Beruf erlernt hat, keine Arbeit findet,
vielleicht sogar straffällig geworden ist?

Oder bin ich nur stolz auf Kinder,
die meine Erwartungen erfüllen?
Kinder, die funktionieren?

Stolz ist oft untrennbar mit Leistung verknüpft.
Er hat wenig mit Liebe zu tun.
Nicht mit Achtung.
Nicht mit wahrer Annahme.
Nur mit dem Erfüllen von Forderungen.

Einem Kind, das den Erwartungen entspricht, zu sagen:
„Ich bin stolz auf dich“,
ist nicht schwer.
Es ist oft nur eine andere Form,
sich selbst auf die Schulter zu klopfen
und sich zu einem gelungenen Projekt zu gratulieren.

Aber dann sind da die anderen Kinder.
Die stillen.
Die wütenden.
Die rebellischen.
Die angeblich schwierigen.
Die, die sich verweigern.
Die, die der Gesellschaft nicht passen.

Sie sind es,
die uns einladen – oder herausfordern –,
unsere Liebe bedingungslos zu machen.
Unsere Urteile zu hinterfragen.
Unsere Maßstäbe zu überprüfen.

„Du bist ein wundervoller Mensch.
Ich achte, wertschätze und liebe dich –
egal, wie die Umstände gerade sind.
Egal, ob du gefallen bist oder gerade aufstehst.
Ich habe keine Erwartungen an dich.
Ich liebe dich,
weil du bist.“

Das ist der Unterschied zwischen Stolz und Liebe.
Liebe fordert nichts.
Sie misst nicht, prüft nicht, belohnt nicht.
Sie ist einfach da.
Welcher Stolz – und sei er noch so verdient –
könnte da mithalten?



Samstag, 15. März 2014

Nora und Billy

Als ich Nora das erste Mal begegnete, muss ich etwa 20 Jahre alt gewesen sein. Nora mag damals wohl fast doppelt so alt wie ich gewesen sein, in meinen Augen war sie also eine alte Frau. 
Ich war mit ihrem Bruder Billy befreundet, der um einiges jünger war als sie. Die beiden hatten ihre Eltern früh verloren, und Nora fühlte sich für Billy verantwortlich, zumal Billy während seiner Kindheit eine schwere Erkrankung überwinden musste und in Noras Augen seine Hilfebedürftigkeit wohl nie ganz verloren hatte. 

Billy war klug, amüsant, herzlich und es fiel ihm nie schwer, Sympathien zu gewinnen, Nora hingegen war streng, abweisend, kühl und Furcht einflößend. Zumindest auf mich wirkte sie so. Ich glaube nicht, dass sie viele Freunde hatte. 

Wenn ich im Haus von Nora und Billy zu Gast war, vermied ich nach Möglichkeit jede Begegnung mit Nora. Billy war anders, als alle Menschen, die ich kannte, und er gefiel sich darin, "anders" zu sein. Noras Bestreben war es, "normal" zu sein. Billy war für Nora wie ein exotisches Wesen, das sie weder einordnen noch verstehen konnte. Sie wollte nichts weiter, als ein durchschnittliches und vernünftiges Leben zu führen, und in dieses Schema passte Billy nicht. Da nun jeder von ihnen seine eigenen Wertigkeiten und seine Wesensart geradezu kultivierte, schien ihre Beziehung zueinander so, als würde eine Henne ein Entenküken großziehen und dabei versuchen, es vom Schwimmen abzuhalten..

Vor kurzem trat Nora indirekt wieder in mein Leben. Das kam so, dass  nach mehr als 40 Jahren, in denen ich von den beiden nichts gesehen und gehört hatte, plötzlich Billy in meinen Gedanken auftauchte. Und er tauchte nicht nur auf, sondern klammerte sich so lange an meine Gehirnzellen, bis ich reagierte und begann, im Internet nach ihm zu suchen. Ihn zu finden war nicht schwer. Ich fand ihn dort, wo ich zwar nicht erwartet hatte, ihn zu finden, wo ich aber trotzdem meine Suche begonnen hatte. Die Freude auf beiden Seiten war groß, doch drei Wochen später starb Billy. Zurück blieb Nora, die mittlerweile eine verbitterte alte Frau geworden war, zerfressen von Groll und Hass gegen sich selbst, gegen ihren toten Bruder und gegen die Welt.

Ich habe über Nora und Billy oft nachgedacht in den letzten Tagen, Wochen... Die Rollenverteilung "Held und Widersacher", "Gut und Böse", "Schwarz und Weiß" schien immer so einfach, ja, drängte sich geradezu auf. Damals - vor mehr als vierzig Jahren - war das sonnenklar. Doch selbst mein inzwischen erwachsen gewordenes und doch etwas reiferes ICH  möchte - wenn es sich unbeobachtet glaubt - in dieser Konstellation gerne einen Täter und ein Opfer, einen Guten und einen Bösen sehen. Aber dies wäre wohl eine sehr vereinfachte Betrachtungsweise. 

Man mag nun die Vergangenheit in seine Überlegungen einbeziehen, Noras Kindheit während des Zweiten Weltkriegs, Billy, dessen Erkrankung ihm die nahezu ungeteilte Zuwendung und Aufmerksamkeit seiner Eltern sicherte und Nora in den Schatten drängte. Nora, ein Kind, das nichts weiter suchte, als Liebe und Beachtung, und das sich selbst langsam und unaufhaltsam hinter der Erkrankung und Pflegebedürftigkeit des Bruders verschwinden sah. Nora -ein Kind, dessen Erwartungen ans Leben nicht erfüllt wurden, und später eine Erwachsene, die glaubte, das Leben sei ihr etwas schuldig geblieben. Billy - der die Spuren seiner Krankheit sein Leben lang zu tragen hatte und das wahre Glücklichsein wohl auch auf die nächste Inkarnation verschoben hat.

Noras Schmerz war wohl irgendwann so übermächtig geworden, dass sie dachte, keine Wahl zu haben. Ihre einzige Option schienen ihre Wut und ihr Hass auf ihren Bruder zu sein. Schuldgefühle, Schuldzuweisungen und Frustration nahmen ihr scheinbar jede Wahlmöglichkeit. Sie hatte - ebenfalls nur scheinbar - keine Kontrolle über ihre Emotionen, konnte nicht mehr frei nach ihrem eigenen Willen agieren, sondern reagierte - im Rahmen dessen, was ihr möglich war - auf die Situation. Sie wusste nicht, dass sie trotz allem hätte glücklich sein können, wenn sie sich dazu entschieden hätte und wenn sie bezüglich ihrer Emotionen und ihrer Haltung eine andere Wahl getroffen hätte. 

Was ist nun meine Rolle in dieser Geschichte? Diese Frage stellt sich mir, jedoch habe ich noch keine schlüssige Antwort darauf gefunden. Vielleicht ist es nötig, meine manchmal allzu raschen Urteile zurückzunehmen oder meine eigene Haltung bezüglich mancher in mir vergrabener Konflikte zu überprüfen. Vielleicht ist es auch nur meine Aufgabe, Nora und Billy zu segnen, damit sie Frieden finden und einander in ihren Herzen zwischen Himmel und Erde ohne Groll begegnen können.



Donnerstag, 13. März 2014

Mensch ärgere dich nicht

Was ist Ärger eigentlich? Wozu dient er – und wozu nicht? Wer ist schuld daran, dass wir ihn immer wieder erleben – und wer zwingt uns, ihm nachzugeben?

Ärger ist eine Emotion, die wir selbst heraufbeschwören – oft wider besseres Wissen. Er bezieht sich fast immer auf ein Ereignis, das bereits vergangen ist und sich nicht mehr ändern lässt. Und doch fühlen wir ihn mit voller Wucht.
Vielleicht trägt der Ärger sogar ein gewisses Suchtpotenzial in sich. Wie sonst ließe sich erklären, dass fast jeder glücklich sein möchte, sich aber trotzdem immer wieder – fast wie ferngesteuert – für den Ärger entscheidet?

„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“, lässt Friedrich Schiller seinen Wilhelm Tell sagen.

Aber stimmt das wirklich?
Ist unser Ärger tatsächlich das Werk des „bösen Nachbarn“?
Oder sind wir es, die entscheiden, ob wir auf seinen Groll anspringen?

Stell dir folgende Szene vor:
Du sitzt entspannt in deinem Garten oder auf der Terrasse und genießt die milde Frühlingssonne. Die Welt ist in Ordnung, dein Herz ist ruhig, und ein Lächeln liegt auf deinem Gesicht.

Da kommt er – der „böse Nachbar“, vielleicht schlecht gelaunt. Und weil er seinen Unmut nicht für sich behalten mag, ruft er dir etwas Unfreundliches über den Zaun zu.

Vielleicht ist es sogar jener Nachbar, mit dem du ohnedies auf Kriegsfuß stehst. Und plötzlich ist alles anders: Die Sonne scheint nicht mehr so warm, dein Lächeln erstarrt, und ein unangenehmes Gefühl kriecht in deine Brust.

Du fühlst dich überrumpelt, vielleicht sogar hilflos. Der Ärger flammt auf – als sei das die einzig mögliche, ganz natürliche Reaktion. Rachegedanken keimen in dir. Die passende Antwort fällt dir – natürlich – viel zu spät ein.

Und der eben noch schöne Tag ist dahin.

Was ist eigentlich passiert?
Nichts. Der Tag ist noch derselbe wie vor fünf Minuten. Die Sonne scheint noch immer. Du bist noch immer du.

Die einzige Veränderung fand in deinem Inneren statt – ein gedankliches Konstrukt, entstanden aus deiner Bewertung der Situation.

Dein Nachbar – der, wenn man es genau nimmt, gar nicht wirklich „böse“ ist – hat seinen eigenen Ärger, seinen Frust, vielleicht sogar seine Traurigkeit zu einem Ball geformt und ihn dir zugeworfen.

Und du? Du hattest zwei Möglichkeiten.

Möglichkeit A: Du hättest innerlich sagen können: „Das ist dein Ärger. Behalte ihn. Ich nehme ihn nicht an – ich brauche ihn nicht.“
Und damit wäre alles gesagt gewesen. Vielleicht hättest du ihm sogar freundlich zugenickt – und ihn ziehen lassen mit seinem Ärger.

Möglichkeit B: Du hast den Ball gefangen.
Du bist – bildlich gesprochen – aufgesprungen, hast die Arme ausgestreckt und gerufen: „Her damit!“
Und nun sitzt du da – mit dem Ärger, den eigentlich jemand anderer hatte. Und der andere?
Der geht erleichtert weiter – und du bleibst zurück mit dem Ball.

Anlässe für Ärger gibt es viele.
Ein Missgeschick, das dir passiert. Eine Autopanne. Ein Freund, der zu spät – oder gar nicht – zur Verabredung erscheint. Deine Leistung, die nicht gewürdigt wird. Oder dein pubertierender Sohn, dessen Tonfall dich an die Decke gehen lässt.

Je nachdem, wie sehr du gerade einen Adrenalinkick brauchst, fällt deine Reaktion aus.

Das bedeutet: In diesem Moment agierst du nicht frei. Du folgst einem inneren Programm, das du irgendwann gelernt hast – und immer wieder abspulst.

Ärger verbraucht enorm viel Energie. Und doch steigern wir uns oft genau deshalb hinein – weil wir durch den Adrenalinschub kurzzeitig das Gefühl haben, mehr Energie zur Verfügung zu haben.

Doch dieser Energieschub ist trügerisch. Und so kommt, was kommen muss: Du brauchst ein neues Ziel, auf das du deinen „Ärgerball“ werfen kannst.

Vielleicht deinen Partner – der nur harmlos fragt, was mit dir los ist.

Das war’s dann. Er hätte besser geschwiegen. Aber nun trifft ihn dein Ärger mit voller Wucht – bis auch er wütend wird.
Und wenn er dann so richtig in Fahrt ist – dann endlich kannst du durchatmen.

Es ist nichts weiter als geistige Umweltverschmutzung.
Sie nützt niemandem. Sie macht niemanden glücklich. Und doch wiederholen wir das Spiel – immer und immer wieder. Warum eigentlich?

Wenn der Ärger einmal losgeht, ist es, als würde ein schlechter Film ablaufen – einer, den man sich bis zum Ende ansieht, obwohl man ihn längst hätte abschalten können.

Doch sobald du durchschaust, wie dieses Spiel funktioniert, ändert sich alles.

Du erkennst deine Wahlfreiheit.

Und auf einmal wird es ganz einfach:

Ganz gleich, aus welcher Ecke der Ball kommt –
niemand kann dich zwingen, ihn zu fangen.

Und solltest du doch einmal den Ball fangen –
vergiss nicht:
Du darfst ihn jederzeit wieder zurück ins Universum werfen.




Dienstag, 11. März 2014

Schuldgefühle – und der Weg in die Freiheit

Genauso wenig wie es sinnvoll ist, die Schuld für die eigene Befindlichkeit bei anderen zu suchen, genauso wenig Sinn macht es, sich selbst schuldig zu fühlen.

Schuldgefühle – wir alle kennen sie.
Schon als Kind lernen wir: Wenn wir brav sind, sind die Erwachsenen zufrieden. Wenn nicht, spüren wir Enttäuschung, Strafe oder Liebesentzug. So entsteht früh das Gefühl: Ich bin verantwortlich für das Glück der anderen.

Und viele tragen diese „Verantwortung“ ein Leben lang mit sich herum.

Nun bist du erwachsen.
Und doch fühlst du dich schuldig.

Weil du dich zu wenig um deine Mutter kümmerst.
Oder weil du sie gepflegt hast und meinst, vieles falsch gemacht zu haben.
Weil deine Ehe zerbrochen ist, und deine Kinder dir Vorwürfe machen.
Weil du nicht die Mutter oder der Vater warst, der du sein wolltest.
Weil du manchmal zu ungeduldig bist, zu wütend, zu müde, zu schwach.
Weil du deine Steuererklärung vor dir herschiebst, dein Handy nicht abhebst, neidisch bist – oder einfach nur das Leben genießt, obwohl es angeblich gerade nichts zu genießen gibt.

Schuldgefühle zeigen sich unterschiedlich – aber der Kern ist derselbe:
Ich war nicht gut genug. Ich bin nicht, wie ich sein sollte.

Wir möchten geliebt werden und glauben, wir müssten uns Liebe verdienen.
Und immer wieder finden wir uns in Situationen, in denen uns – wie damals als Kind – Anerkennung verweigert wird.
Von anderen. Und von uns selbst.

Doch jedes Schuldgefühl ist ein Urteil.
Ein Urteil über dich.
Und Urteile blockieren.
Sie halten dich fest in einem Bild, das nie ganz stimmt – und verhindern, dass du dich als das erkennst, was du wirklich bist:
Ein Mensch auf dem Weg.
Mit Licht und Schatten.
Mit Würde. Und mit Lernfeldern.

Sieh dein Leben an.
Ganz ruhig. Ohne Urteil.
Es mag sein, dass du heute manches anders machen würdest.
Aber du hast damals getan, wozu du in der Lage warst.
Nicht besser. Nicht schlechter. Nur so, wie es dir möglich war.

Wenn du es besser gekonnt hättest – dann hättest du es besser gemacht.
Glaub daran. Und schenk dir deinen Frieden.

Auch im Jetzt mag es Situationen geben, die du nicht ändern kannst.
Dann nimm sie an. Umarme sie.
Und heile sie – mit Vergebung, mit Liebe, mit einem offenen Herzen.

Die Huna-Philosophie bringt es auf den Punkt:
„Niemals verletzen – immer heilen.“

Das gilt auch für dich.
Heile, was verletzt wurde – durch Vergebung, durch Liebe, durch einen neuen Blick.
Nicht weil du falsch warst. Sondern weil du jetzt anders wählen darfst.

Du bist nicht hier, um fehlerlos zu sein.
Du bist hier, um heil zu werden.






Samstag, 8. März 2014

Der Adler

Ein Mann fand einmal ein Adler-Ei und legte es auf seinem Hof in das Nest einer gewöhnlichen Henne. Nach einiger Zeit schlüpfte ein kleiner Adler mit den Küken aus und wuchs mit ihnen auf.

Sein ganzes Leben lang benahm sich der Adler wie die Küken, weil er dachte, er sei ein Küken aus dem Hinterhof. Er kratzte in der Erde nach Würmern und Insekten. Er gluckte und gackerte. Und ab und zu hob er seine Flügel und flog ein Stück, genau wie die Küken.

Viele Jahre vergingen, und der Adler wurde alt. Eines Tages sah er einen herrlichen Vogel hoch über sich im wolkenlosen Himmel. Anmutig und hoheitsvoll schwebte er durch die Luft, fast ohne mit seinen kräftigen Flügeln zu schlagen. Der alte Adler blickte ehrfürchtig empor. "Wer ist das?" fragte er seinen Nachbarn. "Das ist der Adler, der König der Vögel", sagte der Nachbar mit ergriffener Stimme. "Aber mach dir keine Gedanken, du und ich sind von anderer Art."

Also dachte der Adler nicht weiter an diesen Vogel. Und er starb in dem Glauben, ein Küken im Hinterhof zu sein.


Quelle: Anthony de Mello "Der springende Punkt“ (leicht geändert)


Donnerstag, 6. März 2014

Der Tempel der tausend Spiegel

Es gab in Indien den Tempel der tausend Spiegel. Er lag hoch oben auf einem Berg und sein Anblick war gewaltig. Eines Tages kam ein Hund und erklomm den Berg. Er stieg die Stufen des Tempels hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel.

Als er in den Saal der tausend Spiegel kam, sah er tausend Hunde. Er bekam Angst, sträubte das Nackenfell, klemmte den Schwanz zwischen die Beine, knurrte furchtbar und fletschte die Zähne. Und tausend Hunde sträubten das Nackenfell, klemmten die Schwänze zwischen die Beine, knurrten furchtbar und fletschten die Zähne.

Voller Panik rannte der Hund aus dem Tempel und glaubte von nun an, dass die ganze Welt aus knurrenden, gefährlichen und bedrohlichen Hunden bestehe.

Einige Zeit später kam ein anderer Hund, der den Berg erklomm. Auch er stieg die Stufen hinauf und betrat den Tempel der tausend Spiegel. Als er in den Saal mit den tausend Spiegeln kam, sah auch er tausend andere Hunde. Er aber freute sich. Er wedelte mit dem Schwanz, sprang fröhlich hin und her und forderte die Hunde zum Spielen auf.

Dieser Hund verließ den Tempel mit der Überzeugung, dass die ganze Welt aus netten, freundlichen Hunden bestehe, die ihm wohlgesinnt sind.


Eine Geschichte aus Indien


Dienstag, 4. März 2014

Gespräche mit Gott

"Die Wahrheit in Form einer objektiven Realität existiert nicht. 
Die Betrachtungsweise schafft die Wahrnehmung, 
und die Wahrnehmung schafft die Erfahrung. 
Die Erfahrung, die die Wahrnehmung für dich schafft, 
ist das, was du Wahrheit nennst."

Aus dem Buch "Zuhause in Gott" von Neale Donald Walsh