Samstag, 1. November 2025

Die Wirklichkeit ist auch nicht mehr das, was sie mal war

Falls du heute auf jemanden getroffen bist, der dich auf die Palme gebracht hat:
Herzlichen Glückwunsch. Du hast ihn selbst erfunden.

Zumindest, wenn man Robert Scheinfeld glauben mag.
Der nämlich sagt: Jeder Mensch, der in deinem Hologramm auftaucht, ist zu 100 % deine eigene Kreation.
Ob du willst oder nicht.

Sollten wir da nicht ernsthaft über unsere Schöpfungsprozesse nachdenken,
wenn selbst der nervige Nachbar auf unserem Mist gewachsen sein soll?

Und unweigerlich stellt sich die Frage:
Wer von den 8 Milliarden Mitbewohnern dieser Erde hat eigentlich noch einen eigenen Willen,
wenn wir alle nur gegenseitige Manifestationen sind?

Das klingt erst einmal ziemlich verrückt –
und widerspricht allem, was wir über die Eigenständigkeit anderer Menschen gelernt haben.

Aber wenn man genauer hinschaut,
öffnet sich eine spannende Perspektive.

Dazu müssen wir in ein Weltbild eintauchen,
über das wir uns selten bewusst Gedanken machen –
das aber in Wahrheit ständig in uns wirkt:
unser eigenes Bild von Wirklichkeit.

Denn wer ist der nervige Nachbar wirklich?
Wir wissen nur, dass er in unserem Weltbild der nervige Nachbar ist.
Wer er außerhalb dieses Bildes ist – das wissen wir nicht.

Wir sehen ihn nur durch unsere Linse.
So, wie wir auch uns selbst nur durch unsere eigenen Filter kennen.

Und wir haben keine Ahnung,
für wie viele Menschen wir selbst vielleicht der nervige Nachbar sind.


Paul Watzlawick bringt es in seinem Buch Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ auf den Punkt:
Wirklich ist nicht das, was tatsächlich ist – sondern das, was wir für wirklich halten.

Unsere Weltsicht ist geprägt durch Erziehung, Erfahrung, Erwartungen,
Glaubensmuster und kulturelle Vorgaben.
Und wenn wir dann Menschen finden, die unsere Sicht teilen,
glauben wir: Jetzt ist es bewiesen.

Drei Nachbarn, die unsere Meinung über den vierten teilen –
und schon ist eine „Wahrheit“ geboren.

So konstruieren wir unsere Wahrnehmung –
und merken oft gar nicht,
wie schnell wir uns in selbstgebauten Überzeugungen verfangen.

Und wie schwer es ist, da wieder rauszukommen –
oder überhaupt zu bemerken,
dass wir in einem Konstrukt leben.


Wahr ist, was wir für wahr halten.
Und was wir für wahr halten, denken wir uns selbst aus.
Kurz gesagt: Wir sind ein Bewusstsein, das sich seine Welt baut.

Gerade deshalb lohnt es sich, immer wieder einen Schritt zurückzutreten:
unsere Perspektive zu hinterfragen,
andere Sichtweisen einzubeziehen,
und uns auf offenen Dialog einzulassen.

Dann erweitern wir nicht nur unser eigenes Verständnis –
sondern auch unsere Fähigkeit zur Toleranz, zur Empathie, zum Miteinander.

Und vielleicht entsteht so eine Welt,
in der der Nachbar irgendwann aufhört, nervig zu sein –
und einfach nur ein Mensch ist.
Genau wie wir.




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