Ein Erfahrungsbericht über Hormoncocktails, drohendes Glück und den täglichen Kampf gegen schmatzende Mitmenschen.
Mit dem Ärger ist das so eine Sache. Kein Mensch will
sich ärgern. Aber sehr oft muss man sich leider ärgern. Die Welt fordert
einen regelrecht dazu heraus.
Wie gerne wäre ich ein ruhiger und gelassener
Mensch, der sich niemals aufregt und durch nichts aus der Ruhe bringen lässt.
Aber schon Wilhelm Tell wusste:
„Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn
nicht gefällt.“
Da ist was dran.
Man möchte in Frieden, Ruhe und Gelassenheit
leben. Man möchte geduldig und milde lächelnd durchs Leben gehen.
Und was passiert?
Jemand schmatzt beim Essen.
Sagt „Antibiotika“, wenn er „Antibiotikum“ meint.
Fährt mit nur einer Hand Auto.
Nimmt meine wohldurchdachten Meinungen nicht ernst.
Macht blöde Anspielungen auf meine nicht vorhandene Multitasking-Fähigkeit.
Versucht ständig, mich zu optimieren.
Reißt schlechte Witze, gibt ungefragt Ratschläge, kapiert nicht, wie ich zu
behandeln bin – und verhält sich überhaupt so, dass ich ihn unmöglich lieben
kann.
Oh, und dann spüre ich so richtig, wie die
passenden Hormone – Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol – nur so durch meinen
Körper schießen.
Und irgendwie, so absurd das klingt -
ist dann meine Welt in Ordnung.
Nicht, weil ich mich so gerne ärgere.
Aber es fühlt sich an wie nach Hause kommen.
Gemütlich, gewohnt, vertraut.
Ein Hormoncocktail, wie er besser nicht sein
könnte.
Sicherlich wäre ich lieber gelassener.
Aber wie soll ich dann zu meinem Hormoncocktail kommen?
Ich spüre ja förmlich, wie ich nach Gründen
suche, wenn ich zu lange darauf verzichten muss.
– Hat der Nachbar seinen Biomüll womöglich in den
Restmüll geworfen?
– Hat mein Mann – versehentlich und im Scherz – einen meiner Triggerpunkte
berührt?
– Verhält sich jemand völlig abseits meiner Erwartungen und Bedürfnisse?
– Durchkreuzt das Wetter gerade meine liebevoll geplanten Sonntagsaktivitäten?
– Hat sich die Frau an der Supermarktkasse heimlich vorgedrängelt?
Wer suchet, der findet.
Und schon sprudeln wieder die Hormone.
Da hat mir doch jemand neulich erzählt, man könne sich genauso gut von Glückshormonen abhängig machen. Man müsse nur oft genug
Glücksgefühle erzeugen, um eine Abhängigkeit zu entwickeln. Der Verstand würde
dann genauso – wie er jetzt nach Gründen für Ärger sucht – nach Gründen für
Glück suchen.
Und das sei erheblich angenehmer.
Aber wie soll das denn gehen?
Ärger kann ich schon. Glücklichsein müsste ich erst lernen.
Man könnte ja zum Beispiel sogenannte Anker
setzen – wie beim NLP. Wenn man sich – rein zufällig – gerade glücklich fühlt,
könnte man dieses Gefühl abspeichern.
Zum Beispiel, indem man sich die Hand aufs Herz legt, tief ins Herzchakra
atmet, sich ganz auf dieses Glücksgefühl konzentriert und es so verankert.
Einfache Sache. Müsste zu bewältigen sein.
Werde ich demnächst ausprobieren.
Sobald ich wieder einmal glücklich bin. Falls ich dann dran denke.
Oder ich könnte – was durchaus zu überlegen wäre
– ganz gezielt nach Gründen für Glücksgefühle suchen.
Das kann doch so schwer nicht sein.
Machen andere schließlich auch. Angeblich.
Oh – gerade hat mir im Drogeriemarkt jemand die
letzte Flasche Hanföl vor der Nase weggeschnappt.
Die wollte ich haben. Jetzt nimmt er sie. Der braucht sie vermutlich gar
nicht wirklich.
Das war reine Bosheit.
Ach, ich könnte mich gerade grün und blau ärgern!
Ich muss das unbedingt zu Hause erzählen – dann
kann ich mich noch einmal so richtig darüber ärgern.
Und meiner Freundin erzähle ich es auch. Und meiner Schwester. Und meiner Friseurin. Und meiner Nachbarin.
Ich fürchte…
Das mit den Glücksgefühlen muss ich noch einmal gründlich überdenken.
Denn das mit dem Ärger – das kann ich einfach besser.
What a pertinent observation. Who is your inspiration?
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