Mittwoch, 16. Juli 2025

Heute braucht mich keiner zu lieben

Es gibt Tage, an denen wir kämpfen, um dazuzugehören.
Tage, an denen wir uns selbst vergessen, nur um geliebt zu werden.
Wir lächeln, obwohl wir weinen möchten.
Wir schweigen, obwohl wir etwas sagen müssten.
Und manchmal verlieren wir uns, während wir versuchen, es allen recht zu machen.

Eines unserer tiefsten Grundbedürfnisse scheint es zu sein, geliebt zu werden. Wir tun vieles dafür, Anerkennung zu bekommen. Oft verleugnen wir uns selbst – unsere Bedürfnisse, unsere Grenzen, unsere Wahrheit –, nur um Konflikten aus dem Weg zu gehen. Viel zu oft versuchen wir, es allen recht zu machen.

Während einer schwierigen Lebensphase meines Sohnes – nämlich während seiner Pubertät – wurde mir dieses Muster besonders deutlich. Ich fürchtete Konfrontationen nahezu panisch und versuchte, ihnen um jeden Preis auszuweichen. Als ich dieses Verhalten hinterfragte, erkannte ich meine grundsätzliche Konfliktscheu. Ich konnte Spannungen kaum aushalten. Und so versuchte ich häufig, Konflikte sofort bereinigen zu wollen – jetzt, sofort, oft zu einem Zeitpunkt, an dem etwas Abstand heilsamer gewesen wäre.

Eines Tages begegnete ich in meiner Stammsauna einem Mann, den ich nie zuvor dort gesehen hatte – und dem ich danach auch nie wieder begegnete. Wir kamen ins Gespräch, redeten über Gott und die Welt – auch über Konflikte und den Umgang damit. Ich erzählte ihm von meiner Konfliktscheu. Er lächelte und sagte:
„Du willst also immer von allen geliebt werden, nicht wahr?“
Ich konnte das nicht leugnen.
Dann sagte er einen Satz, den ich nie vergessen habe:
„Weißt du, ich nehme mir an manchen Tagen die Freiheit, zu sagen: Heute braucht mich überhaupt niemand zu lieben. Ich bin mir selbst genug.“

Dieser eine Satz hat sich tief in mich eingebrannt. Er klang so einfach – und war doch so befreiend.
An diesem Tag begann ich zu ahnen, wie wohltuend es sein kann, sich nicht länger hinter den eigenen Ängsten zu verstecken – und das Streben nach äußerer Anerkennung loszulassen.

Seitdem versuche ich, diese Haltung mehr und mehr in meinen Alltag zu integrieren. Es gelingt mir nicht immer – und manchmal falle ich in alte Muster zurück. Doch ich erlaube mir zunehmend, nicht allen Erwartungen entsprechen zu müssen.
Ich darf anecken. Ich darf anderer Meinung sein. Ich darf Fehler machen. Ich darf auch einmal unbequem werden.

Und es gibt Tage, an denen ich diesen Satz bewusst für mich wähle:
„Heute braucht mich keiner zu lieben.
Heute reicht es, wenn ich mich selbst liebe."

In solchen Momenten spüre ich eine ungeahnte Freiheit. Eine Leichtigkeit. Und ich merke, dass echte Verbindung zu anderen Menschen erst dann möglich ist, wenn ich mich selbst genügend liebe – um frei von der Liebe und Anerkennung anderer zu sein.

Vielleicht ist das die tiefste Form der Selbstliebe:
Sich selbst anzunehmen – mit allen Ecken und Kanten –,
und sich zu erlauben, einfach zu sein.
Unabhängig davon, ob andere das gerade lieben oder nicht.

Und so schrieb ich auf meinen inneren Merkzettel:

  • Ich erkenne mich selbst an.

  • Ich erlaube mir, nicht allen gefallen zu müssen.

  • Ich bin stark genug, auch unangenehme Gefühle wie unbereinigte Konflikte auszuhalten.

  • Und niemals vergesse ich: An manchen Tagen genügt es völlig, mich selbst zu lieben.




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