Neulich stieß ich auf ein Video bei YouTube mit dem vielversprechenden Titel:
„Sieben Früchte, die Senioren niemals essen sollten.“
Ich tat genau das, was der Algorithmus erwartete: Ich klickte.
Nicht, weil ich Angst hatte. Sondern weil ich neugierig war, wie weit es mittlerweile gekommen ist.
Die Liste war eine kleine Parade meiner liebsten Früchte:
Ananas, Wassermelone, Trauben, grüne Äpfel, Mangos...
Da fehlen nur noch der Granatapfel und die Aprikose, und ich hätte mich vollständig angesprochen gefühlt.
Natürlich ging es – wie so oft – um Entzündungen, Gelenkschmerzen, Stoffwechselprobleme und andere Schreckgespenster, die offenbar in Obst lauern, sobald man ein gewisses Alter erreicht.
Plötzlich ist es nicht mehr der Bewegungsmangel, nicht die Gedanken, nicht die inneren Spannungen –
sondern die Ananas.
Die Trauben.
Die Mango.
Sie sind schuld.
Natürlich.
Denn wir leben in einer Welt, in der es einfacher geworden ist, dem Außen die Verantwortung zu geben.
Für den Schmerz.
Für das Unwohlsein.
Für das eigene Älterwerden.
Aber was, wenn es nicht die Frucht war, sondern die Angst?
Was, wenn nicht die Wassermelone den Blutdruck erhöht hat – sondern das ständige Grübeln?
Was, wenn nicht der Apfel die Gelenke schmerzen lässt – sondern das tagelange Nicht-Aufstehen aus Sorge, etwas falsch zu machen?
Was wäre, wenn wir älter werden dürften – mit Lust am Leben?
Mit Appetit?
Mit einem Lächeln im Gesicht, wenn wir einen saftigen Pfirsich essen?
Und ohne Schuldgefühle, wenn wir das tun?
Vielleicht ist es Zeit, die Verantwortung wieder ein Stück weit zurückzuholen.
Nicht in Form von Schuld.
Sondern in Form von Vertrauen.
In den eigenen Körper.
In die eigene Wahrnehmung.
In das leise Wissen, das sagt:
Ich darf mich spüren. Ich darf mir glauben. Ich darf genießen.
Und wenn dann doch einmal etwas zwickt – dann ist es vielleicht nicht die Ananas.
Sondern das Leben selbst, das uns einlädt, wieder ein bisschen liebevoller auf uns zu schauen.
Mit Güte.
Mit Klarheit.
Und vielleicht – mit einer reifen Mango in der Hand.
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