Mein Freund,
ich sehe dich.
Ich sehe deinen Schmerz, deinen Groll, deine Verzweiflung –
und ich weiß, dass du glaubst, ich sei der Grund dafür.
Doch das bin ich nicht.
Ich trage keine Schuld an deinem Schmerz.
In diesem Augenblick hast du dich selbst entschieden, ihn zu fühlen.
Aus all den Emotionen, die dir zur Verfügung standen,
hast du den Schmerz gewählt.
Vielleicht suchst du den Grund deines Schmerzes im Außen –
vielleicht glaubst du, ihn bei mir zu finden.
Aber ich stehe nicht mehr zur Verfügung
als Projektionsfläche für das, was in dir lebt.
Du hast in jedem Moment deines Seins die Wahl –
deine Reaktion auf das, was geschieht, ist immer deine eigene.
Selbst wenn ich etwas gesagt oder getan habe, das dich verletzt hat –
ich trage nicht die Schuld an deinem Schmerz.
Auch wenn mein Verhalten Erinnerungen in dir wachgerufen hat –
an Ablehnung, an Ungesehen-Sein,
an das Gefühl, nicht geliebt zu sein –
ist dieser Schmerz nicht von mir verursacht.
Er ist alt. Er ist dein.
Du hattest viele Möglichkeiten, auf diese Situation zu reagieren.
Du hättest lachen können – sie mit einem Schmunzeln annehmen.
Du hättest sagen oder denken können:
„Wie interessant.“
Du hättest sie einfach vorbeiziehen lassen können.
Du hättest dich sogar über mich ärgern dürfen – ganz leise, für dich.
Aber du hast den Schmerz gewählt –
nicht den Moment selbst,
sondern das, was er in dir berührt hat.
Den alten, ungeheilten Schmerz,
der schon lange in dir wohnt.
Das Gefühl, nicht geliebt zu sein.
Nicht gehört.
Nicht wichtig.
Vielleicht sogar das Gefühl,
dass selbst der Kater in diesem Haus
mehr Würdigung erfährt als du.
Ich sehe deinen Schmerz.
Ich sehe das Kind in dir,
das zu oft übersehen,
zu selten ernst genommen wurde.
Das Kind, das nie das Gefühl hatte, gut genug zu sein.
Das Kind, das sich abgemüht hat,
um ein bisschen mehr Nähe,
ein bisschen mehr Anerkennung –
und doch so oft vor verschlossenen Türen stand.
Aber ich nehme die Schuld dafür nicht auf mich.
Ich kann deinen Schmerz nicht heilen.
Ich kann ihn mit dir betrachten,
mit dir gemeinsam da sein –
aber ich kann ihn nicht heilen.
Ich kann dich in Liebe begleiten –
aber die Heilung liegt in dir.
Nur du kannst sie vollziehen.
Ich kann dir meine Hand reichen.
Ich kann an deiner Seite bleiben –
in Liebe, in Mitgefühl, in Echtheit.
Aber ich kann deinen Schmerz nicht heilen.
Und ich trage keine Schuld daran.
Mögest du die Liebe in dir finden –
die Liebe zu dir selbst,
zu dem Kind, das du einmal warst,
zur Welt,
zum Leben,
und zu allem, was ist.
Das wünsche ich dir.
In Liebe.
In Achtung.
In Dankbarkeit.
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