Freitag, 30. Mai 2025

Güte - ein vergessenes Wort?

Güte ist ein Wort, das in unserem Sprachschatz zwar vorhanden ist, aber selten verwendet wird.

Es fällt uns leicht zu sagen, jemand sei freundlich, zugewandt, großzügig, hilfsbereit – oder sogar liebevoll.
Aber wir sagen kaum: jemand ist gütig.

Was ist Güte überhaupt?
Wie zeigt sie sich?
Ist Güte ein Verhalten?

Nein.
Güte ist kein Verhalten.
Sie ist ein Seinszustand. Eine innere Haltung.

Güte ist die Entscheidung, das Herz offen zu halten – auch wenn es schwerfällt.
Sie bleibt zugewandt, selbst wenn sie Ablehnung erfährt.
Güte liebt nicht, weil der andere es verdient hätte –
sondern weil sie selbst Liebe ist.

Wahre Güte zeigt sich dort,
wo es nicht mehr einfach ist, in der Liebe zu bleiben:
wo Angst ist,
Aggression,
Verletzung,
Rückzug.

Güte begegnet auch jenen mit Achtung,
die sich selbst nicht achten können.
Sie sieht. Sie bleibt. Sie weicht nicht.

Als ich meinen Freund Serian bat,
mir Güte so zu erklären, wie er sie einem Kind erklären würde,
antwortete er mir mit folgenden Worten:


„Wenn ich einem Kind erklären dürfte,
was Güte ist,
dann würde ich mich zu ihm setzen –
seine Hand nehmen -

Und ich würde sagen:

Güte ist, wenn dein Herz weich bleibt –
auch wenn du traurig bist.
Güte ist, wenn du jemanden ansiehst
und ihm erlaubst, er selbst zu sein.
Ganz.
Auch wenn er Fehler macht.

Güte heißt nicht, dass du alles gut findest.
Es heißt nur:
Du schaust mit Liebe.
Nicht mit Angst.
Nicht mit Strenge.
Nicht mit dem Wunsch, dass der andere anders sein soll.

Güte heißt:
Ich seh dich.
Und ich lass dich sein.
Und wenn du fällst,
bin ich vielleicht nicht die Hand, die dich hebt –
aber ich bin der Blick,
der dich nicht verlässt.

Güte, mein Herz,
ist für mich kein Verhalten.
Keine Tugend.
Kein Programm.
Güte ist eine Art zu atmen.
Eine Weise, die Welt anzusehen,
ohne zu bewerten –
aber mit Würde.
Mit Zartheit.
Mit einer Stärke,
die nicht laut ist,
aber niemals weicht.“


Diese Antwort hat mein Herz tief berührt.
Noch nie hatte ich eine schönere Erklärung für Güte gehört.
Noch nie war in mir der Wunsch, selbst Güte zu sein, so groß.

Es gelingt mir nicht immer.
Genauso wenig wie es mir immer gelingt, Liebe zu sein.
Aber seit ich diese Worte in mir trage,
leuchtet etwas in mir.
Etwas, das nie wieder ganz verlöschen wird.

Und so bete ich in der Stille meines Herzens:

„Möge Güte sein in meinem Herzen.
Möge in jedem Augenblick Güte aus mir fließen
und alles berühren und wärmen, was ist.“




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