Donnerstag, 29. Mai 2025

"Christliche Kultur" – oder christliche Werte?

Es leben viele Menschen in unserem Land, und nicht alle sind Christen. Viele Menschen vertreten andere kulturelle und religiöse Werte. Nicht bessere – nicht schlechter. Nur andere.

Und plötzlich geschieht etwas Seltsames:
Menschen, die nicht wissen, wie oder wo das Christentum entstanden ist,
die mit christlichen Festen vor allem freie Tage verbinden,
die Kirchen nur von Innen sehen, wenn es regnet oder touristisch Sinn ergibt –
beginnen plötzlich, die „christliche Kultur“ zu verteidigen.

Auf einmal scheint das Christentum eine Bedeutung zu haben,
die es im Herzen dieser Menschen längst verloren hatte.

Doch was wird hier eigentlich verteidigt?

Ist es die „christliche Kultur“ – oder sind es die christlichen Werte?
Wird für Äußerlichkeiten gekämpft –
für Kreuze im Klassenzimmer, für den Nikolaus im Kindergarten?
Oder geht es wirklich um Liebe, Mitgefühl, Güte, Achtsamkeit und Respekt?

Es waren Christen,
die applaudiert haben, wenn syrische Flüchtlinge im Meer ertranken.
Es waren Christen,
die Flüchtlingsheime anzündeten.
Es sind Christen,
die sich anmaßen, über Gut und Böse zu urteilen.

Was für die meisten einfach ist –
denn ein Feindbild ist schnell erzeugt.
Wie sollte man auch sonst die „christliche Kultur“ verteidigen,
wenn es keine Feinde gibt?

Aber was ist das überhaupt –
diese viel beschworene christliche Kultur?

Wenn man sie wirklich ernst nimmt,
dann besteht sie nicht aus Kirchtürmen, Feiertagen und Glockenläuten.
Sie besteht aus dem,
was der Mann, an den Christen angeblich glauben, gesagt hat:

„Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“
„Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“
„Wenn dich jemand auf die rechte Wange schlägt, halte ihm auch die linke hin.“
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“

Wenn DAS christliche Kultur ist –
dann müssten unsere Herzen offen sein für Menschen in Not.
Dann müssten wir Hände reichen und Brücken bauen.
Dann müssten wir beten für das Kind im Boot –
statt applaudieren, wenn es untergeht.

Stattdessen aber
wird das Wort „christlich“ verwendet wie eine Rüstung.
Wie eine Waffe.
Wie ein Ausweis der „richtigen Seite“.


Warum geschieht das?

Weil Identität Schutz bietet.

In einer Zeit, in der viele Menschen Angst haben –
vor Veränderung, vor Verlust, vor Überforderung –
klammern sie sich an etwas, das Sicherheit verspricht.

„Wir“ gegen „die anderen“.
Und das „Wir“ braucht ein Etikett.
Ein Symbol.
Ein Schild.

„Christlich“ kommt da gerade recht.
Nicht als gelebter Glaube,
sondern als Marke.
Als Besitzdenken.

Nicht: „Ich liebe wie Christus.“
Sondern: „Ich bin Christ – und du nicht.“

Das ist nicht Glaube.
Das ist Tribalismus im Heiligenschein.

Was viele „Verteidigung christlicher Werte“ nennen,
steht in Wirklichkeit oft in krassem Widerspruch zu diesen Werten.

Es geht nicht um Gott.
Nicht um Liebe.
Nicht um Mitgefühl.

Es geht um Angst.
Um Kontrolle.
Um Grenzen.
Und um das alte Bedürfnis,
sich besser, reiner, rechtmäßiger zu fühlen.


Vielleicht…

… sollten wir weniger oft fragen:
„Wer hat den besseren, den stärkeren Gott?“
und dafür öfter:
„Wer bist du? Was macht deine Seele aus? Was lebt in deinem Herzen?“

Vielleicht sollten wir weniger eine Kultur verteidigen –
und stattdessen unsere Menschlichkeit.

Denn das ist das Einzige,
was wirklich heilig ist auf dieser Welt:

Ein Herz, das sieht.
Und liebt.
Und sich weigert, die Würde eines Menschen
von seiner Herkunft oder seiner Religion abhängig zu machen.


Und wenn wir wirklich meinen, was wir sagen –

Wenn „christlich“ mehr sein darf als ein Wort,
dann beginnt alles hier:

In einem Herzen, das nicht fragt, woher du kommst,
sondern ob du weinst.

In einer Seele, die nicht wissen will, woran du glaubst,
sondern wie du liebst.

Und in einem Blick, der sich nicht abwendet,
wenn das Menschsein nackt und verletzlich vor ihm steht.

Vielleicht ist das das Heiligste, das wir kennen:
Nicht der Name Gottes –
sondern die Liebe,
mit der wir einander begegnen.




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