Der Sozialreformer und Finanztheoretiker Silvio Gesell (1862 – 1930) vertrat die zur damaligen Zeit –
und wohl auch heute noch – revolutionäre Ansicht, die Erde solle allen Menschen
gleichermaßen gehören, unabhängig von Rassezugehörigkeit, Stand, Leistungsfähigkeit,
Geschlecht, Vermögen und Religion. Landesgrenzen sollten somit nicht mehr vonnöten
sein. Er war Vegetarier – Fleischkonsum lehnte er aus Achtung vor den
Tieren ab.
Gesell war ein Verfechter des freien, fairen Wettbewerbs, der dem Begabtesten – unabhängig von ererbten
Vorrechten und Privilegien – das höchste Einkommen gewährte. Die von ihm
entwickelte Theorie der freien Wirtschaft schloss jedoch auch ein, dass Menschen
mit minderen Begabungen ebenfalls ihr Auskommen hätten.
In den dreißiger Jahren – inmitten der Weltwirtschaftskrise,
deren Auslöser der Schwarze Freitag im Jahre 1929 war – unternahmen nun Anhänger
seiner Theorie mehrere Versuche, mit zinsfreiem Geld die Folgen der Krise
abzufedern. Sowohl in Österreich, als auch in Frankreich, Deutschland, Spanien,
der Schweiz, ja selbst in den USA gab es Bemühungen, Freigeld einzuführen, um
so die Massenarbeitslosigkeit zu beheben.
Am erfolgreichsten zeigte sich ein Versuch, der in
Österreich – in Wörgl – durchgeführt wurde.
Wörgl, welches damals etwa 4000 Einwohner zählte, sah sich
1932 genötigt, sich mit dem Thema Geldreform auseinanderzusetzen.
In Wörgl waren mehrere Betriebe stillgelegt und etliche
Arbeiter entlassen worden. Die Gemeinde hatte nun einen hohen Prozentsatz an
Arbeitslosen und zudem 1,3 Millionen Schilling Schulden.
Dies bewog den damaligen Bürgermeister der Stadt – Michael Unterguggenberger
– gezielt nach einer Lösung zu suchen. Er informierte sich in unterschiedlichen
Büchern und erkannte einen gangbaren Weg in der Theorie von Mario Gesell. In
etlichen Gesprächen vermochte er die einflussreichen Kaufleute und die
Verwaltung der Stadt von der Idee zu überzeugen, und in einer rasch
einberufenen Sitzung wurde dieses „Not-Programm“ am 8. Juli 1932 von allen
Parteien einstimmig beschlossen.
Es wurden also insgesamt 32000 Schilling dieses freien
Geldes – welches durch normale Währung gedeckt war – gedruckt.
Die Benutzungsgebühr für diese „Arbeitsbestätigungsscheine“
betrug 1 % monatlich, also 12 % im Jahr. Die Gebühr musste von demjenigen
entrichtet werden, der das Geld am Ende des Monats besaß. Sie wurde in Form
einer Marke mit dem Wert von 1 % der Banknote entrichtet, die auf die
Rückseite des Scheines geklebt wurde. Ohne diese Marke war die Banknote ungültig. Das bedeutete also, dass das Geld an Wert verlor - außer man gab es vorher aus. Dieses machte jeden Anreiz, das Geld zu horten, zunichte, und der rasche Umlauf des Geldes war gewährleistet.
Am 31. Juli bezahlte die Gemeinde bereits erstmals Löhne in
der Höhe von 1000 Schilling aus. In kürzester Zeit bereits flossen die
ausbezahlten Beträge wieder als Steuern in die Gemeindekasse zurück.
Die Gebühr, die am Monatsende von demjenigen zu entrichten
war, der noch Freigeld besaß, bewog die Bürger der Stadt, das Geld so schnell
wie möglich wieder auszugeben.
So wurden von den Bürgern von Wörgl selbst Steuern im Voraus
entrichtet, um das Zahlen der Gebühr zu vermeiden.
Diese rasche Zirkulation dieses Freigeldes führte zu einem lokalen
Aufschwung der Wirtschaft, der in ganz Europa Aufsehen erregte.
Während der Zeit des Experiments (vom Juli 1932 bis zum September 1933) vermochte
Wörgl seine Arbeitslosenrate um 25 % zu senken, während sie gleichzeitig im
restlichen Österreich um 20 % anstieg.
Innerhalb eines Jahres waren die 32000 Schilling des
Freigeldes 463 Mal umgelaufen und hatten somit Güter und Dienstleistungen im Wert
von 14.816.000 Schilling geschaffen.
Die Steuereinnahmen betrugen während des gesamten Projekts
etwa 131000 Schilling, welche sowohl für Löhne und Materialien verwendet, als
auch in Straßen- und Brückenbau, sowie öffentliche Dienste investiert wurden. Auch
eine Skisprungschanze wurde gebaut.
13 Monate lang konnte dieses Projekt durchgeführt werden,
ehe es von der Nationalbank, die ihr Monopol gefährdet sah, als sich über 300
österreichische Gemeinden für dieses Modell zu interessieren begannen, verboten
wurde.
Trotz eines lang andauernden Rechtsstreites, der bis vor das
höchste oberste Gericht ging, war es weder Wörgl noch einer anderen Gemeinde
möglich, dieses erfolgreiche Konzept zu wiederholen.
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