Unsere Gedanken formen unsere Wirklichkeit. Was für ein
beruhigender Gedanke. Wir sind die Architekten unseres Erlebens. Was wir
denken, fühlen wir – und was wir fühlen, wird zur Realität.
Das Gesetz der Anziehung sagt: Worauf du dich konzentrierst,
das ziehst du an. Niemand ist schuld an meinen Erfahrungen – nur ich selbst bin verantwortlich dafür.
Ich finde das berauschend. Nicht, dass ich je jemand anderem die Schuld gegeben
hätte. Aber mit dieser Erkenntnis im Hinterkopf komme ich nicht einmal mehr in
Versuchung.
Theoretisch ist diese Tatsache ja vielen bewusst. Aber in
der Praxis scheitert es bei den meisten. Für manche bleibt es ungenutztes
Wissen. Für andere nicht einmal das. Für mich hingegen ist es gelebte Realität.
Ich beherrsche auch die Praxis.
Letzte Woche habe ich an einer Masterclass zum Thema bewusstes Manifestieren
teilgenommen. Reine Wissensvermittlung. Mit praktischen Übungsbeispielen. Und
wirklich nur während der letzten 45 Minuten erwähnte der Vortragende ganz
beiläufig seinen sechswöchigen Intensiv-Workshop – für nur 2.145,80 Euro. Ein
echtes Schnäppchen. Wenn man es richtig manifestiert.
Ich habe mir außerdem noch sechs oder sieben einschlägige
YouTube-Videos reingezogen – also bitte, die Theorie sitzt. Und was die
Umsetzung betrifft: Für jemanden wie mich, die praktisch in einem Ozean
positiver Gedanken planscht, ist das natürlich ein Kinderspiel.
Halt dich fest, Universum – ich komme!
Doch selbst ein Meister des Manifestierens kann ins Straucheln geraten, nämlich
dann, wenn er mit den Erschaffungsprozessen anderer kollidiert.
Da hilft die makellose Affirmationsroutine wenig, wenn
rundherum eifrig Gegenteiliges manifestiert wird.
Gestern zum Beispiel: Ich liege in meiner Hängematte, die
Luft ist erfüllt von Rosenduft, Wespen und lästigen Fliegen.. Gerade flüstere
ich pflichtbewusst meine Reichtums-Affirmationen ins Universum – da kommt mein
Nachbar daher und klagt über den Zusammenbruch der Wirtschaft, über Inflation
und Energiepreise. Wie, bitte schön, soll ich da Reichtum manifestieren? Was
soll mein liebevoll gehegtes Gedankenmeer schon gegen solch geballten Mangel
ausrichten?
Und dann bei der Arbeit.
Wie soll ich jemals befördert werden, wenn Karl-Friedrich aus der
Versandabteilung insgeheim das Gegenteil manifestiert? Und das nur, weil ich
ihm bei drei aufeinanderfolgenden Teamsitzungen versehentlich den Kaffee über
die Hose gegossen habe.
Ich schwöre: Es war keine Absicht.
Es geschah einfach, weil das Universum WUSSTE, dass Karl-Friedrich es verdient
hatte.
Es ist wie verhext. Kaum versuche ich, das Universum in
geordnete Bahnen zu lenken, funkt jemand dazwischen. Immer ist da einer, der
sein eigenes kosmisches Süppchen kocht. Und wenn es nur der Hund ist, der sich
mit stoischer Zielstrebigkeit Hundekekse manifestiert – und mich damit nötigt,
kurz vor Ladenschluss noch loszuspurten, um den Wunsch dieses Manifestationsmeisters zu erfüllen.
Oder mein Mann, der heimlich den Tod der Waschmaschine
manifestiert hat. Jetzt ist sie kaputt. Tot. Mausetot. Und ich schwöre: Das war
kein Zufall. Das war eiskalt kalkulierte Manifestation. Er hat sie noch nie
leiden können.
Oder mein Sohn, der sich demonstrativ Regenwetter
manifestiert, nur um ungestört seinen nächsten Netflix-Marathon zu starten –
obwohl er ganz genau weiß, dass ich erst vorgestern die Hängematte im Garten
aufgebaut habe, um dem bislang sehr zögerlichen Sommer zu signalisieren: Ich
bin bereit.
Oder die Nachbarin, die mir vorschlägt, einen Teil meiner
Manifestationsenergie lieber in den Weltfrieden zu investieren – anstatt in
Parkplätze, Hängemattenwetter und beförderungsrelevante Kaffeeunfälle.
Und dann ist da noch dieses lästige Timing-Problem: Ich
manifestiere mir ganz entspannt den Parkplatz direkt vor dem Supermarkt, sehe
ihn schon – golden glänzend im Sonnenlicht –, doch kaum will ich einbiegen, ist
da plötzlich jemand, der anscheinend schneller oder geschickter manifestiert
hat. Zack – weg ist er.
Manchmal scheint das Universum nach Regeln zu handeln, die
so undurchschaubar sind wie das geheime Coca-Cola-Rezept – verborgen,
verwirrend und nur Eingeweihten zugänglich.
Ich finde, das Manifestieren sollte jenen überlassen
bleiben, die etwas davon verstehen. Wirklich – man muss ja auch mal an das
Universum denken. Es muss doch vollkommen überfordert sein, wenn es
gleichzeitig einen Lottogewinn, eine neue Liebe, den Weltfrieden und einen
Parkplatz vor dem Supermarkt jonglieren soll.
Und wenn es nicht klappt mit dem Reichtum, dem Parkplatz
oder der inneren Erleuchtung, dann liegt das ganz sicher nicht an mir. Nein,
wirklich nicht. Dann sind – wie immer – die anderen schuld.
Also gut. Ich gebe zu, das mit dem Manifestieren ist doch
nicht ganz so einfach. Vielleicht braucht es mehr als ein paar Affirmationen
und einen stabilen WLAN-Empfang. Vielleicht braucht es Herz. Geduld. Und
manchmal auch einfach ein bisschen Gelassenheit, wenn der Parkplatz weg ist und
der Hund wieder alle Kekse herbeimanifestiert hat.
Ich bleibe jedenfalls dran – und falls du mich suchst: Ich bin die mit der
Hängematte, dem halb vollen Glas Limonade und dem unbeirrbaren Glauben daran,
dass das Universum schon weiß, was es tut. Meistens jedenfalls.
Manifestieren ist keine Zauberformel, die man einfach aufsagt, sondern ein Tanz mit
dem Leben – und dieser Tanz erlangt seine Perfektion durch Vertrauen und Hingabe.