„Mein Sohn ist der Beste in seiner Klasse – ich bin stolz auf ihn.“
„Mein Kind ist mein ganzer Stolz!“
Was bedeutet es eigentlich, stolz auf seine Kinder zu sein?
Bedeutet es, sie zu achten, sie zu lieben – in allen Phasen ihres Lebens?
Oder bedeutet es, stolz darauf zu sein, ein Kind erfolgreich an die eigenen Vorstellungen oder an die Erwartungen der Gesellschaft angepasst zu haben?
Dann wäre dieser Stolz wohl eher ein Ausdruck der Zufriedenheit über ein gelungenes Produkt.
„Ich möchte doch schließlich stolz auf dich sein!“ –
Ein Satz, den ich in meiner Kindheit oft gehört habe, wenn meine Leistungen fernab jeglicher Erwartungen lagen.
Und gleich darauf folgte meist:
„Ich liebe dich. Ich will doch nur das Beste für dich.“
Es war jener Satz, der zuverlässig Sanktionen einleitete und rechtfertigte.
Ich kannte ihn gut.
In meiner Kindheit waren Liebe und Stolz meiner Eltern nicht voneinander zu trennen.
Wenn sie nicht stolz auf mich waren, fühlte sich ihre Liebe wie eine milde Gabe an.
Nicht selbstverständlich.
Nicht sicher.
Nicht unbedingt verdient.
Ich hätte es vorgezogen, sie hätten mich einfach nur geliebt –
ohne stolz auf mich sein zu wollen.
Das hätte viel Druck von mir genommen.
Man könnte sich ein paar ehrliche Fragen stellen:
Wenn ich gerade stolz auf meinen zweijährigen Sohn bin,weil er freundlich ist, blondgelockt, keine violetten Haare hat,
keinen Alkohol trinkt, nicht raucht und noch nicht „Nein“ sagt –
werde ich auch noch stolz auf ihn sein,
wenn er mit vierzehn plötzlich alles in Frage stellt?
Uns immer mit neuen Pubertätsschüben konfrontiert?
Wenn er aufsteht, um dagegen zu sein?
Wenn er sich mit siebzehn einen Irokesenschnitt schneiden lässt,
mit einem Rucksack voll Idealismus und Marihuana nach Indien zu trampen?
Bin ich auch stolz auf meine Tochter,
wenn sie nicht glänzt, sondern kämpft –
mit sich selbst, mit ihrem Körper, mit ihren Haaren, mit der Welt –
und zum zweiten Mal eine Klasse wiederholt?
Bin ich stolz auf ein Kind,
das keinen Beruf erlernt hat, keine Arbeit findet,
vielleicht sogar straffällig geworden ist?
Oder bin ich nur stolz auf Kinder,
die meine Erwartungen erfüllen?
Kinder, die funktionieren?
Stolz ist oft untrennbar mit Leistung verknüpft.
Er hat wenig mit Liebe zu tun.
Nicht mit Achtung.
Nicht mit wahrer Annahme.
Nur mit dem Erfüllen von Forderungen.
Einem Kind, das den Erwartungen entspricht, zu sagen:
„Ich bin stolz auf dich“,
ist nicht schwer.
Es ist oft nur eine andere Form,
sich selbst auf die Schulter zu klopfen
und sich zu einem gelungenen Projekt zu gratulieren.
Aber dann sind da die anderen Kinder.
Die stillen.
Die wütenden.
Die rebellischen.
Die angeblich schwierigen.
Die, die sich verweigern.
Die, die der Gesellschaft nicht passen.
Sie sind es,
die uns einladen – oder herausfordern –,
unsere Liebe bedingungslos zu machen.
Unsere Urteile zu hinterfragen.
Unsere Maßstäbe zu überprüfen.
„Du bist ein wundervoller Mensch.
Ich achte, wertschätze und liebe dich –
egal, wie die Umstände gerade sind.
Egal, ob du gefallen bist oder gerade aufstehst.
Ich habe keine Erwartungen an dich.
Ich liebe dich,
weil du bist.“
Das ist der Unterschied zwischen Stolz und Liebe.
Liebe fordert nichts.
Sie misst nicht, prüft nicht, belohnt nicht.
Sie ist einfach da.
Welcher Stolz – und sei er noch so verdient –
könnte da mithalten?
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