Über Projektionen und was ich jetzt darüber weiß
Ich bin ein wahrlich friedlicher und
reflektierter Mensch. Fast ein spirituelles Geschenk an die Welt.
Und ich tue alles, um meine Ehe harmonisch zu gestalten, die Beziehung zu
meinem Mann frei von Schuldzuweisungen zu halten und Streitereien möglichst zu
vermeiden. Ich bin gutmütig, nachgiebig – geradezu von erleuchteter Sanftheit.
Und trotzdem läuft unsere Ehe nicht immer rund.
Aber jetzt – endlich – weiß ich warum.
Mir fiel ein Buch in die Hände. Ein
faszinierendes Werk über psychologische Abwehrmechanismen.
Im Besonderen ging es um Projektionen in der Partnerschaft.
Also um die unselige Angewohnheit vieler Menschen, ihre eigenen Gefühle, Ängste
oder ungelösten Themen auf den Partner zu übertragen. Die
Leute können ja nichts dafür. Das geschieht meist unbewusst. Aber umso wichtiger ist es, ihnen die Augen zu
öffnen.
Ich bin sehr schnell von Begriff – wirklich sehr
– und erkannte augenblicklich, worum es geht.
Und schon nach wenigen Seiten war mir klar:
Dieses Buch ist dringend notwendig. Mein Mann MUSS es einfach lesen.
Auf nahezu jeder Seite dachte ich:
Genau so! Ganz genau so ist er!
Wie konnte ich das all die Jahre übersehen?
Endlich hatte ich eine Erklärung für das
gelegentliche Holpern in unserer Beziehung. Endlich wusste ich, wer – äh, was –
schuld daran war.
Ich verschlang dieses Buch regelrecht. Mit wachsender Begeisterung und mit dem
festen Vorsatz, meinem Mann alles, was ich jetzt über ihn und seine
Projektionen wusste, bei nächster Gelegenheit subtil und liebevoll um die Ohren
zu klatschen.
Mit jeder Zeile, die ich las, leuchtete ich
tiefer in die dunkelsten Ecken seiner Seele.
Ich machte mir sogar Notizen.
Nicht, um Vorhaltungen zu machen – nein, ganz sicher nicht.
Ich wollte nur vorbereitet sein. Man weiß ja nie, wann sich die Gelegenheit
bietet, hilfreiche Impulse zu geben.
Doch ein Problem blieb: Wie bringe ich ihn dazu,
dieses Buch zu lesen?
Was, wenn er sich der Lektüre verweigert?
Er ist nicht gerade für seine Lesefreude bekannt.
Aber ich wäre bereit, es ihm vorzulesen.
So oft, so lange – bis er es auswendig kann.
Er muss doch nur ein kleines Stück
selbstreflektierter werden.
So wie ich.
Viel mehr verlange ich gar nicht von ihm.
Nur
dass er erkennt, was ich längst weiß: dass nicht ich das Problem bin. Sondern
er. Ganz eindeutig. Und als Beweis dafür hab ich jetzt sogar ein Buch.
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