Nachdenklich in lauten Zeiten
Wir leben in turbulenten Zeiten.
Seit Jahren prasseln Angstbotschaften auf uns ein –
zuerst in Form aggressiver Impfkampagnen,
nun in Form einer Kriegsrhetorik,
die uns kaum noch Raum zum Atmen lässt.
Und ich frage mich:
Was geschieht da gerade in uns Menschen?
Sind es dieselben Menschen,
die gestern noch laut „Frieden für die Welt“ forderten
und heute russische Mitbürger ausgrenzen,
beschimpfen,
und ihnen die ärztliche Behandlung verweigern?
Sind es dieselben,
die heute Flüchtlinge aus der Ukraine mit offenen Armen empfangen würden,
aber vor wenigen Jahren beim Ertrinken syrischer Kinder schwiegen –
oder sogar hämisch applaudierten?
Sind es dieselben,
die nun kein russisches Produkt mehr kaufen wollen,
aber seit Jahrzehnten durch Billigkäufe
Ausbeutung, Kinderarbeit und Umweltzerstörung stützen –
sofern es nur weit genug weg geschieht?
Sind es dieselben,
die kaum wissen,
dass in der Ukraine seit acht Jahren Krieg herrscht,
aber dennoch glauben,
die gesamte geopolitische Lage nun durchschauen zu können?
Und was ist mit jenen,
die der Corona-Berichterstattung nicht mehr trauten –
aber nun jede Kriegsnachricht ohne Frage glauben,
als wäre die Wahrheit plötzlich zurückgekehrt?
Die USA führten unter Obama fast acht Jahre lang Krieg.
Und dennoch erhielt er den Friedensnobelpreis.
Wer das damals als gerecht empfand –
ist der heute wirklich in der Position,
über Gut und Böse zu urteilen?
Ich stelle diese Fragen nicht,
weil ich die Antwort weiß.
Ich stelle sie,
weil ich etwas anderes vermisse:
Aufrichtigkeit.
Empathie.
Den Mut, zu differenzieren.
Den Willen, Widersprüche auszuhalten.
Ich weiß:
Die Welt ist nicht schwarz-weiß.
Aber manchmal wäre schon viel gewonnen,
wenn wir aufhören würden,
so zu tun, als sei sie es.